Von Christiane Möschle
Meine italienische Freundin Lucia schenkt mir jedes Jahr am 8. März einen kleinen Strauß Mimosen und gratuliert mir zum Weltfrauentag, dem „Giornata internazionale della Donna“.
Sie klärte mich auf, dass man in Italien den Frauen an diesem Tag Mimosen schenkt und dass in den Städten die Blumenläden ganz im Zeichen dieses Baumes und seiner leuchtenden Blüten stehen.
In Deutschland würde man sicher nicht auf die Idee kommen, einer Frau einen Strauß Mimosen zu schenken, würde man ihr damit – wenn auch durch die Blume – mitteilen, dass man sie für eine solche hält, nämlich für eine besonders empfindliche und leicht eingeschnappte Person. Diese Bedeutung der Mimose kennt man in Italien überhaupt nicht, was vielleicht daran liegt, dass dort eine Mimosenart wächst, die eigentlich eine Akazie ist, und die bei Berührung nicht ängstlich ihre Blätter zusammenzieht.
Die Bedeutung, die wir in Deutschland der Mimose zuschreiben, ist schon im botanischen Namen der Pflanze festgeschrieben, der Mimosa pudica, der schamhaften Sinnpflanze. Dabei handelt es sich um einen bodennahen Halbstrauch, der nur etwa einen Meter hoch wird. Die Mimose reagiert auf Erschütterung genauso stark wie auf schnelle Erwärmung, schnelle Abkühlung oder eine Änderung der Lichtintensität, in dem die betroffene Region der Pflanze blattweise einklappt. Im Englischen heißt die Mimose „Touch-me-not“, auch wegen ihrer schützenden Stacheln an den Zweigen, und im Deutschen hat sich die Bezeichnung „mimosenhaft“ etabliert.
Die Silberakazie, ein Mimosengewächs, das auch „gelbe Mimose“ oder „falsche Mimose“ genannt wird, verträgt nur leichten Frost und liebt die Sonne und die Wärme. In Deutschland hat sie darum nur als Kübelpflanze, die in einem Wintergarten überwintern darf, eine Überlebenschance. Auch sie klappt am Abend ihre Blätter ein, hat aber keine Stacheln und reagiert weder bei Berührung, Temperaturschwankungen oder sonstigen äußeren Einflüssen mit dem Einklappen ihrer federartigen Blätter.
Da man in Italien mit der Mimose eben diese Akazie meint, schaute meine Freundin etwas ungläubig, als ich ihr von der Bedeutung erzähle, die man in Deutschland der Mimose zuschreibt. Sie kennt die Mimose nur als einen Baum, der dem Winter mit seinen gelben Blüten trotzt und der unglaublich gute Laune verbreitet. Mit seinen gelben Blüten strahlt er Freude und Vitalität aus.
In Italien wird der Internationale Frauentag größer und ausgiebiger gefeiert als der Muttertag. In vielen Museen haben die Frauen an diesem Tag freien Eintritt, sie gehen mit ihren Freundinnen zum Abendessen, viele Restaurants und Bars lassen sich besondere Überraschungen für ihre weiblichen Gäste einfallen, locken mit Sonderaktionen, auf den italienischen Straßen sieht man am Abend ausnahmsweise fast nur Frauen. Zum „festa delle donne“ wird in vielen Bäckereien sogar eine „Torta Mimosa“ angeboten, eine Bisquittorte mit Mascarponefüllung. Die Frauen werden an diesem Tag gefeiert und feiern sich selbst. Alle werden angesteckt von der fröhlichen gelben Farbe der Mimosenblüten.
Warum ausgerechnet die Mimose das Symbol des Internationalen Frauentags in Italien ist, lässt sich nicht eindeutig klären. Mir gefällt die Version, dass sie von der italienischen Frauenbewegung bei ihrer ersten Tagung nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 in Rom als Symbol manifestiert wurde, weil vor den Fenstern der Tagungsstätte Mimosen blühten, und die Frauen inspiriert und angesteckt wurden von ihrer Leuchtkraft, ihrer Fröhlichkeit, ihrer Leichtigkeit und ihrer Freude, die sie ausstrahlten.
Manche Quellen behaupten aber auch, dass die Blumenwahl auf drei Widerstandskämpferinnen zurückgeht, die sie während der Herrschaft der Faschisten zum Symbol für die Befreiung der Frauen von männlicher Unterdrückung wählten.
Die Mimose ist der erste Baum, der in südlichen Gefilden schon im zeitigen Frühjahr mit seinen leuchtend gelben, verschwenderischen Blüten die noch braungraue Winterlandschaft belebt. Oft schon in warmen Januartagen bis in den März hinein verbreiten die empfindsamen Blüten, die aussehen wie kleine Sonnen, ihren betörenden Duft. Sie haben eine sanfte, liebliche und weiche Ausstrahlung, daher steht die Mimose auch für Feinfühligkeit. Viele Menschen wollen sich und anderen nicht erlauben, ihre empfindsame und zarte Seite zu zeigen, dabei ist Sensibilität eine Stärke, wird aber in unserer Gesellschaft eher mit einer Schwäche assoziiert.
In der Pflanzenheilkunde kann die Essenz der Mimosenblüten nicht nur beruhigen, sie spendet auch Trost, wirkt beschützend und macht Mut.
In diesem Sinne gratuliere ich allen Frauen zum Internationalen Frauentag und wünsche uns den Mut, unsere Sensibilität und unsere Kraft voller Selbstbewusstsein leuchten zu lassen.